DIETHELM BLECKING - RAINER F. KOKENBRINK |
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Die Tagung "Fremdenfeindlichkeit
und Nationalismus".
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Während das Weimar-Buchenwald Projekt aus der Zusammenarbeit zwischen
einem Leistungskurs Deutsch und einem Grundkurs Geschichte erwuchs und
damit nur einen Teil der Schülerinnen und Schüler in der Jahrgangsstufe
erreichte, gelang es, für den gesamten Jahrgang im Februar 1997
eine politische Fachtagung zu organisieren. Die Herausgeber nahmen zu
diesem Zweck Kontakt mit dem "Aktuellen Forum" in Gelsenkirchen,
einem anerkannten Träger der Weiterbildung, auf und verabredeten
ein gemeinsames Tagungsprojekt. In Vorgesprächen einigte man sich
darauf, das Thema "Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus"
in den Mittelpunkt der Veranstaltung zu stellen. Damit konnte die eingangs
eingeführte Thematik fortgesetzt werden.
Denn unter den politischen Etiketten Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus
begegnet uns heute im Alltag der Zusammenhang von Kultur und Gewalt.
Im Namen einer angeblich höherwertigen deutschen Kultur bilden
sich politische Sekten am rechten Rand des politischen Spektrums, aus
deren Einzugsbereich offen rassistisch motivierte Gewalttaten begangen
werden. Seit dem Vereinigungsprozeß steht die Frage nach der nationalen
Identität der Deutschen wieder auf der politischen Tagesordnung.
Trotz über 7 Millionen Ausländern, die in Deutschland leben
und arbeiten, kann sich die offizielle Politik nicht für Angebote
wie eine doppelte Staatsbürgerschaft oder ein Einwanderungsgesetz
erwärmen, das den hier lebenden bzw. zuwandernden Ausländern
eine größere Rechtssicherheit gewähren würde. In
Deutschland begegnen sich Kulturen, Sprachen und überkommene Lebensformen
in einem Konfliktszenarium, dessen weitere Entwicklung völlig offen
ist. Im Rahmen einer kleinen Tagung sollte dieses Szenarium für
die Teilnehmer, die sich ja teilweise selber aus Kindern von Zuwanderern
zusammensetzen, bearbeitbar und erlebbar gemacht werden.
Unserer pädagogischen Konzeption folgend, wurden Schüler aus
den oben genannten Kursen in die Planung integriert und übernahmen
Berichterstatterfunktion auf der Tagung. Eine türkischstämmige
Schülerin organisierte im Vorfeld des Seminars aus eigener Initiative
eine Umfrage unter der ausländischen Bevölkerung in Hattingen,
die im Anschluß dokumentiert wird.
Die Planungsgespräche machten bald deutlich, daß der Zugang
zum Konfliktfeld nicht nur ein intellektueller sein konnte. Deshalb
wurde das Theater "ArtNet" eingeladen, mit Spielszenen zum
Thema affektive und und künstlerische Möglichkeiten der Auseinandersetzungen
mit der Problematik zu inszenieren.
In den Leistungskursen Sport und Deutsch und in den Grundkursen Geschichte
und Philosophie, die von den Herausgebern geleitet wurden, konnte im
Unterricht intensiv auf die Tagung vorbereitet werden. Dies geschah
in Philosophie durch die Lektüre und Interpretation des klassischen
Textes von Georg Simmel "Der Fremde"1,
in Geschichte durch ein Unterrichtsprojekt zum Thema Ausgrenzung im
Nationalsozialismus und Prozesse gesellschaftlicher Ausgrenzung heute.
Im Leistungskurs Deutsch wurden die in der nachfolgenden Tagungsdokumentation
eingestreuten Apercus, Prosastücke und Gedichte gelesen, die den
literarischen Topos des "Fremden" zum Thema hatten. Der Sportleistungskurs
beschäftigte sich mit Hilfe eines Textes von Blecking2
mit der Problematik von Ausländern und Sport in Deutschland.
Die Tagung fand
in einer Bildungsstätte außerhalb Hattingens statt, was
eine 2 1/2-tägige intensive Arbeits- und Kommunikationsphase ermöglichte,
unterbrochen durch Filme zum Thema und Freizeitaktivitäten. Für
die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler bedeutete diese
Arbeitsform eine völlig neue Möglichkeit der Bearbeitung gesellschaftlicher
Konlikte und erweiterte Perspektiven für deren Austragung. Die
Scheinrealität der Schule wurde hier wirklich verlassen. Insbesondere
die Tatsache, daß sich am Ende der Tagung Funktionsträger
von politischen Parteien einer harten Diskussion mit den Schülern
stellten, verlieh dieser Bemühung einen Wert über den üblichen
Schulalltag hinaus. Die Schüler erlebten hier die Aggressivität
politischer Auseinandersetzungen und lernten ihre Interessen und die
erarbeiteten Ergebnisse in die Diskussion einzubringen und letztere
auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen.
Anmerkungen:
- Simmel, Georg; Der Fremde. In: Simmel, Georg; Das
individuelle Gesetz. Frankfurt am Main 1987, S. 63-70.
- Blecking, Diethelm; Sport und ethnische Minderheiten
in Deutschland. Zur Geschichte einer schwierigen Beziehung. In: D.Jütting/P.Lichtenauer(Hrsg.),
Ausländer im Sport. Münster 1995, S. 108-119.
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