RAINER F. KOKENBRINK


Projekt: Polenfahrt 2    Widerstand

" Die wahren Gedenkstätten sind die Lager. Wer dorthin geht, der ist buchstäblich in der Präsenz der Ermordeten."
(Michael Naumann)
"Die Erfahrung ist der Ertrag der Arbeit, das Erlebnis ist die Phantasmagorie des Müßiggängers."
(Walter Benjamin)

Download "Widerstand" (90 S.,pdf-Datei in drei Teilen mit Texten von Lustiger, Borowski, Dohrn, Bolecka, Kokenbrink, Kruse u.a.m. und zahlreichen Fotos)

Teil 1 (1.2 Mb) Teil 2 (6.3Mb) Teil 3 (4.0Mb)

Diese zweite Reise nach Polen sollte in der Wiederbegegnung mit bereits bekannt Geglaubten die Unabschließbarkeit einer Auseinandersetzung mit der Geschichte und die stete Neuigkeit des Reiseerlebnis erlebbar werden lassen. Neben bereits besuchten Orten treten Besuche der Stadt Przemyl und Exkursionen in die Mittelgebirgslandschaft der Beskiden. Beide Orte stehen für komplizierte geschichtliche aber auch gegenwärtige Zusammenhänge. Der Reader bietet daher in seinem Schwerpunkt veränderte und in der Diskussion vernächlässigte Perspektiven und Zugänge an. Man sieht häufig nur das, was man schon kennt und von dem man weiß; - bereits gemachte Erfahrungen, Gelerntes, Gelesenes richten unsere Blicke aus. Zur Kultur des Reisens als eines Aufbruches zu Anderem, Fremden gehören aber Bildungsbereitschaft, Neugier und Lust an der Veränderung und dies gilt es mit der Text- und Bildauswahl des Readers zu vermitteln. Von Reisen vermögen Bereicherungen ausgehen, große Sehnsüchte können wachgerufen und Perspektivenwechsel eingeleitet werden.

Bei der Beschäftigung mit der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts und insbesondere mit der Ungeheuerlichkeit des Genozids an den europäischen Juden wird dem jüdischen Widerstand in der Regel wenig Beachtung geschenkt. Hannah Arendts "Bericht von der Banalität des Bösen", - Prozeßkommentare und moralphilosophische Reflexionen zum Prozeß gegen den deutschen Mordbeamten Adolf Eichmann in Jerusalem-, warf die bis heute das Thema mitbestimmende Frage nach der Mitschuld der Juden an ihrer Vernichtung auf. Die Juden seien quasi lebensüberdrüssig wie Kälber zur Schlachtbank getrottet, ohne nennenswerten Widerstand, so die stereotypen Einschätzungen, die vielfach von Unwissenheit herrühren. Daß dem nicht so war, sollen die Texte dieses Readers ansatzweise dokumentieren. Mit ihnen in der Hand können Kazimierz, das ehemalige jüdische Viertel in Krakau, und Auschwitz neu begangen werden.
Einige grundsätzliche Überlegungen zum Problem des jüdischen Widerstandes aber noch im voraus:
Hat überhaupt selber schuld, wer sich nicht wehrt? KriminalistInnen raten Opfern eines Gewaltverbrechens doch stets zur Passivität.


"Sauberkeit ist Gesundheit", "Hygiene! Läuse sind gefährlich für deine Gesundheit" oder das Wort "Duschraum" am Eingang zur Gaskammer zeugen von der hochintelligenten Todesinszenierung, der perfekten Mordlogik, die sich in die Hoffnungskraft der Menschen auf eine Zukunft biß. Eichmann, Himmler und andere Beamte waren keine Schwachköpfe. Wo 40 SS-Männer 250000 Menschen mit bürokratischer Effizienz ermorden wie in Treblinka, gelang eine perfekte Täuschung menschlichen Hoffens. Die meisten französischen, belgischen, niederländischen (...) Juden wußten nicht wohin die oft tagelange Fahrt ging, oder sie wollten nicht wissen, konnten den Flugblättern und Plakaten in den Ghettos z.B. nicht glauben.
Zwanzig Millionen alliierter Soldaten, unter ihnen 1,5 Millionen Juden waren schließlich nötig, um Hitlerdeutschland ("hitlerowskie niemcy") militärisch zu bezwingen. Die häufige Rede von der Passivität der Juden verkehrt sich z.B angesichts der marginalen Bedeutung des immerhin von einer Exilregierung protegierten Widerstandes in Südfrankreich zu einem Vorwurf, der die vermeintliche Kälbermentalität der Juden unkritisch wiederholt.

Die zusätzlich abgedruckten Reisebeschreibungen (Przemy¶l), Erzählungen (Borowski, Schulz, Bolecka) sollen das Reisen durch unbekannte Gegenden erleichtern. Die Texte lösen das Abstrakte der Geographie und Geschichte in konkrete "Geschichten" auf und bieten so die Möglichkeit, sich lesend und erkundend auf die Spur einer Person zu setzen. Die zutiefst traurige Geschichte von Sylvin Rubinstein verdeutlicht eindrucksvoll die Gegenwärtigkeit des vergangen Geglaubten und weist zudem konkret nach Krosno, einem Ziel unserer Reise. Neue Perspektiven können so gelingen.

vergrößern !

Eingangsdetail der "Krankenbaubaracke"

 


Navigationsbutton